„Kontrolle über die Zeit erlangen“, das ist seit Menschengedenken ein bedeutendes Ziel. So erklärt sich auch, dass sich bereits vor 4000 Jahren die Ägypter und Mesopotamier nachweislich mit dem Thema Zeitmessung und Zeitbestimmung auseinandergesetzt haben.
Hierfür eigneten sich Uhren, die während eines bestimmten Zeitintervalls ablaufen. Das waren zunächst Wasseruhren. Hier lief Wasser aus einem Behälter durch eine winzige Öffnung tropfenweise in einen darunterliegenden Behälter. Der schwindende Wasserstand des oberen Behälters gab Auskunft über das Fortschreiten der Zeit. War der Behälter leer, war auch das entsprechende Zeitintervall abgelaufen.
Bis in das 14. Jahrhundert gab es wenig nennenswerte Entwicklungen bei der Zeitmessung und Zeitbestimmung. Lediglich die Sanduhr mit ihrem geschlossenen Doppelkammersystem ermöglichte einen kompakteren und praktischeren Umgang mit einem solchen Durchfluss-Zeitmesser.
Erst im 14. Jahrhundert startete die Einführung der Räderuhr ein neues Zeitalter in der Zeitmesstechnik. Der Begriff Räderuhr beschreibt eine Großuhr, bei der Zahnräder die Bewegungen und Kräfte innerhalb eines Zeitmesssystems übertragen. Die Uhrzeit wird schließlich durch einen oder mehrere Uhrzeiger auf einer Uhrzeitskala angezeigt. Dieses Prinzip kommt auch heute noch bei jeder modernen mechanischen Uhr zum Einsatz. Mit solchen Konstruktionen war jetzt erstmals eine dauerhafte und von Umgebungseinflüssen (Dunkelheit, Bewölkung) unabhängige Zeitbestimmung möglich.
Bei diesen Uhren stand die praktische Funktion, also die Anzeige der Uhrzeit, im Vordergrund. Solche Uhren waren aufgrund ihrer Seltenheit fast immer im Besitz einer Stadt, einer Kirche oder eines Herrschers. Die Bürger waren damals lediglich Nutzer dieser Technologie. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde der Federantrieb erfunden und ermöglichte damit erstmals die Herstellung von „mobilen Uhren“. Das waren zunächst Taschenuhren.
Im Jahr 1812 produzierte der Schweizer Uhrmacher Abraham-Louis Brequet für die Königin von Neapel, Caroline Bonaparte Murat, die erste bekannte Armbanduhr.
Die 1881 gegründete Uhrenmanufaktur Audemars Piquet war der erste Uhrenhersteller, der Uhren in großen Stückzahlen und damit für einen breiten Markt herstellte.
Im Jahr 1904 entwickelte Louis Cartier die erste „Armbanduhr für Männer“. Es war eine Fliegeruhr für seinen Freund Alberto Santos Dumont. Beim Steuern eines Flugzeuges hatte eine Armbanduhr einen großen Handhabungsvorteil gegenüber einer umständlich abzulesenden Taschenuhr.
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Armbanduhr ein typisches Accessoire der Damenwelt. Armbanduhren galten bis dahin als „weibisch“. Durch die praktischen Vorteile bei der Fliegerei und dem Einsatz im Ersten Weltkrieg wurde die Armbanduhr zunehmend auch für Männer tragbar.
Weitere wichtige Meilensteine bei der Entwicklung von Armbanduhren war die erste Armbanduhr mit automatischem Aufzug. Sie wurde 1922 von John Harwood entwickelt und gebaut.
Im Jahr 1926 stellte Rolex mit dem Modell „Oyster“ die erste wasserdichte Armbanduhr vor und trug damit wesentlich zur Verbesserung der Haltbarkeit und Alltagstauglichkeit von Armbanduhren bei.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren, waren Armbanduhren auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Ihre Gestaltung war vor allem pragmatisch geprägt. Zuverlässigkeit, Ganggenauigkeit und gute Ablesbarkeit, also „praktische Funktionen“ standen nach wie vor im Vordergrund. Die Uhren selbst waren eher klein und zurückhaltend im Auftritt.
In den 60er Jahren wurden dann die Uhren analog zum wachsenden Wohlstand größer, aufwändiger und prächtiger. Und damit auch mehr zum Ausdruck der jeweiligen Trägerpersönlichkeit. Edle Materialien wie Gold oder aufwändige Oberflächenbearbeitungen gewannen damals an Bedeutung. Genau wie die Symbolkraft der Uhr.
Die revolutionärsten Umbrüche erlebt die Armbanduhr allerdings im darauffolgenden Jahrzehnt, den 1970er Jahren. Dem allgemeinen Zeitgeist folgend (68er Bewegung, kulturelle Revolution) werden die Uhren innovativer, experimenteller und außerordentlich vielfältig.
Technisch revolutionär war die Entwicklung der Digitaluhr. Mit der Pulsar der Marke Hamilton wird 1970 die erste Serien-Digitaluhr vorgestellt. Das erste Modell kostete damals weit über 1.000 DM und besaß eine digitale Zeitanzeige, die sich aus einer Matrix aus winzigen roten LEDs zusammensetzte. Die Darstellung der Zeit erfolgte auf Knopfdruck und war begrenzt auf wenige Sekunden. Trotzdem war der Stromverbrauch so hoch, dass die eingebaute Batterie nicht lange durchhielt.
Später folgte mit der LCD-Technik eine wesentlich stromsparende Anzeigetechnologie, die sich auch bei hellem Sonnenlicht gut ablesen ließ. Solche Uhren repräsentierten den Start in ein neues Zeitalter, in dem alles anders und besser werden sollte. Die Digitaluhr war ein Symbol für Fortschritt und Innovation. „Neue Menschen“ verkörperten neue Werte und umgaben sich mit neuartigen Produkten.
Mechanische Uhren galten zu diesem Zeitpunkt als ungenau, unzuverlässig und vor allem als rückständig. Die Quarztechnologie, welche in aller Regel die Basis von Digitaluhren darstellt, schien die mechanische Uhr komplett vom Markt zu verdrängen. Neben digitalen Quarzuhren gab es ergänzend auch analoge Quarzuhren, die vor allem durch ihre gute Ablesbarkeit, Ganggenauigkeit und Unkompliziertheit punkten konnten.
In den 1980er Jahren nahm die Vielfalt der Armbanduhren nochmals drastisch zu. Die Uhr wurde mehr und mehr zum Ausdruck des Lebensstils und der eigenen Persönlichkeit. Besonders durch die Markteinführung der Swatch, der ersten Swiss Made Quarzuhr mit Kunststoffgehäuse, verändert sich die Bedeutung und Symbolik der Armbanduhr grundlegend. Sie erschloss ein neues Marktsegment, nämlich das der klassenlosen Lifestyle-Uhr. Die Swatch und deren Derivate wurden zum Symbol für Jugendlichkeit, Sportlichkeit und modernem unkonventionellem Denken. Generell wurde in den 1980er Jahren mit den Themen Zeit und Uhr zunehmend spielerisch umgegangen.
Parallel dazu hielten neue Technologien wie die Solartechnologie Einzug in die Armbanduhr. Das Modell Solar 1, welches ich damals im Auftrag von Junghans gestalten durfte, wurde zum Symbol für neue Technologien und ökologisches Denken.
Junghans entwickelte kurz darauf mit meinem Design-Kollegen Hartmut Esslinger (Frog Design) die erste funkgesteuerte Armbanduhr, die Junghans MEGA. Mit dem direkten Zugriff auf die maßgebende Zeit der Atomuhr in Braunschweig markierte die Funkuhr ein wesentliches Ziel in der Geschichte der Uhrmacherei: das Erreichen der „absoluten Ganggenauigkeit“.
Immer dann, wenn ein solches absolutes Ziel erreicht ist, verliert es an Attraktivität und wird zur Normalität. So war es auch mit der Genauigkeit als wesentliches Kriterium für die Qualität einer Armbanduhr. Der Weg wurde frei für einen neuen Wert, der in diesem Fall ein bereits bestehender war, nämlich die traditionelle Uhrmacherkunst.
Mechanische Uhren und im besonderen Automatikuhren erleben eine wahre Renaissance. Während Quarzuhren immer billiger und gestalterisch beliebiger werden, orientierte sich die statusbewusste Kundschaft mehr und mehr in Richtung Mechanikuhren. Die Ganggenauigkeit verlor an Bedeutung. Viel mehr zählte die Symbolik einer solchen Uhr. Die mechanische Uhr wurde mehr und mehr zum tragbaren Statussymbol.
Im Jahr 2015 kommt mit der Apple Watch eine neue Kategorie von Uhren dazu. Genau genommen sind jedoch Smartwatches, wie diese neue Klasse heißt, gar keine Armbanduhren im klassischen Sinn, sondern vielmehr „Wearable Smart Devices mit Zeitanzeige“. Ähnlich dem Smartphone, welches eigentlich nicht nur Telefon, sondern viel mehr ein „tragbarer Minicomputer mit kabellosem Internetzugang“ ist. Aktuell existiert ein vielfältiger Funktions- und Gestaltungs-Pluralismus in der Uhrenbranche. Durchschnittlich besitzt jeder Bundesbürger 3,5 Armbanduhren, die situationsabhängig genutzt werden.
Resümee: Früher standen die Zeitmessung und Zeitbestimmung bei der Entwicklung von Uhren klar im Vordergrund. Die praktische Funktion, also die Darstellung von Zeit, dominierte die Technik und die Gestaltung. Heute sind Uhren viel mehr Ausdruck der Persönlichkeit und des persönlichen Lebensstils. In einer Zeit der Omnipräsenz von Zeitanzeige verblasst die Bedeutung der Zeitmessung und die Symbolfunktion nimmt im gleichen Maße zu. Uhren haben eine Wirkung nach außen … (Kommunikation mit dem Umfeld: „so bin ich“ bzw. „so möchte ich nach außen wirken“) … als auch eine Wirkung nach innen (Die Uhr beeinflusst mein Zeitempfinden und meinen Umgang mit der Zeit.) Aktuell ist ein Trend zu außergewöhnlichen Uhren erkennbar. Die Armbanduhr ist im Wesentlichen zum Spiegel der Persönlichkeit des Trägers geworden.
Sehen Sie sich gerne auch das passende Video zum Thema an:
Vom Zeitmesser zum Statussymbol: die veränderte Bedeutung der Armbanduhr - Von Mario Lenke und Klaus Botta
Eine umfassende Analyse zu diesem Thema finden Sie in meinem Blogartikel: „Die Armbanduhr als Spiegel der Persönlichkeit - Was sagt die Uhr über Ihren Träger aus.“
1 Kommentar
Excellent compilation of the time and watch history. keep us posted. Thanks.